Auf den Spuren des Griechisch-Türkischen Bevölkerungsaustauschs. Ein Werkstatt- und Exkursionsbericht
Referentin: Prof. Dr. Nicole Immig, Gießen
Vor 100 Jahren wurde auf der letzten großen Friedenskonferenz des 1. Weltkriegs, der Konferenz von Lausanne von 1923, der sogenannte „Griechisch-Türkische Bevölkerungsaustausch“ beschlossen, bei dem
insgesamt weit mehr als 1,5 Millionen Menschen ihre Wohn- und Geburtsorte verlassen mussten. Bereits vor der Konferenz war die gesamte Region durch großräumige Vertreibungen, Flucht- und Migrationsbewegungen gekennzeichnet. Während ein Großteil der orthodoxen, griechisch-sprachigen Bevölkerung, aber auch viele Muslime bereits im Zuge des griechisch-türkischen Krieges 1919-1921 vor allem aus den Küstenorten Anatoliens/Kleinasiens flüchteten oder vertrieben wurden, mussten zahlreiche osmanische orthodoxe Christen aus dem Inneren Anatoliens, aber auch viele Muslime aus allen Regionen Griechenlands mit den Lausanner Beschlüssen von 1923 emigrieren. In einer 12-tägigen Exkursion nach Izmir, Chios und Thessaloniki im Oktober 2023 haben wir uns mit Studierenden auf die Spuren dieser Geflüchteten, Vertriebenen und „Ausgetauschten“ gemacht und Orte des Ankommens, der Erinnerung und der Sehnsucht besucht, mit ExpertInnen diskutiert und mit NachfahrInnen gesprochen. Der Vortrag gibt einen Einblick in die wichtigsten Erkenntnisse, die größten Irrtümer und die drängendsten Fragen dieser eindrucksvollen Reise und versucht diese mit dem aktuellen Forschungsstand zum Bevölkerungsaustausch zu verknüpfen.
Nicole Immig studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Byzantinistik und Neugriechische Philologie an den Universitäten Frankfurt/M., Athen und Köln und promovierte 2013 an der Humboldt Universität in Berlin mit einer Arbeit zur Emigration von Muslimen aus Griechenland im Zeitraum 1878–1897. Die Arbeit wurde 2014 mit dem Förderpreis der Gesellschaft für Historische Migrationsforschung ausgezeichnet. Nach mehreren kleineren Postdoc-Projekten, u.a. am DFG-Graduiertenkolleg „Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, lehrte und forschte sie von 2017 bis 2020 als Onassis Visiting Assistant-Professor for Modern Greek and Balkan History an der Bosporus/Boğaziçi-University in Istanbul. Seit April 2022 hat sie die Professur für Südosteuropäische Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne. Dort lehrt sie epochenübergreifend südosteuropäische Geschichte mit einem regionalen Schwerpunkt auf dem östlichen Mittelmeer-Raum. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Migration und Mobilität, Fragen der Visual und Digital History, der Alltags- und
Populärgeschichte sowie der transnationalen Mediengeschichte und Kulturgeschichte des 1. Weltkriegs in Südosteuropa. Sie ist ein großer Fan von Wissenschafts-Podcasts, Serious Games und anderen Formen der Wissenschaftskommunikation.
Am 12.12.2023, 18:15 Uhr
Ort: Raum P 207, Philosophicum, Jakob-Welder-Weg 18, 55128 Mainz